Die Frauen des THW Gronau

von Ralf Kosse, 8.03.2023

Wobei man auch noch heute nicht als Erstes an Frauen denkt, ist das Technische Hilfswerk (THW), die Zivil- und Katastrophenschutzorganisation des Bundes. Sie gilt bei vielen noch immer als „Männerorganisation“. Stimmt das wirklich? Mehr als 80.000 ehrenamtliche Mitglieder hat das THW. Gut 12.000 davon sind weiblich. Das sind etwa 15 Prozent und es werden jedes Jahr mehr. Nicht zuletzt durch die Möglichkeit des Wehrersatzdienstes hat es bis 2011 vor allem Männer zum THW gezogen. Heute aber prägen bunt gemischte Teams aus Helferinnen und Helfern verschiedener Nationen und aller Altersgruppen das Bild in den Ortsverbänden. Dabei haben die weiblichen THW-Kräfte keineswegs Angst vor schwerem Gerät! Gemeinsam mit ihren Kameraden erlernen sie beim THW den Umgang mit Notstromaggregaten, Wasserpumpen oder Kettensägen und können so im Einsatz einen wichtigen Beitrag leisten.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock brachte es 2023 beim „Orden wider den tierischen Ernst“ im Februar zum Thema Frauen auf den Punkt: „Weil keine Gesellschaft dieser Welt bestehen kann, wenn sie die Hälfte der Menschen ausschließt.“ Auch die THW-Vizepräsidentin Sabine Lackner sieht das ähnlich: „Wir brauchen die Parität, wir brauchen die Durchmischung. Unsere Gesellschaft lebt davon - und natürlich auch das THW. Als Bundesbehörde haben wir außerdem eine Vorbildfunktion.“ Insbesondere will sie die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und THW durch bessere Rahmenbedingungen fördern.

 

Wie es anfing

Diese Einstellung gab es wahrlich nicht immer. In seiner 70-jährigen Geschichte hat sich das THW genauso gewandelt, wie der Rest unserer Gesellschaft. THW-Direktor Lummitzsch hatte bereits 1955 den Frauen explizit untersagt, sich im THW zu engagieren: „Die Verwendung von Frauen und Mädchen als Helferinnen im Einsatz ist grundsätzlich nicht vorgesehen“. Ein klein wenig Weiblichkeit wurde dann doch gestattet: „Gegen die ehrenamtliche Mitarbeit von weiblichen Angehörigen der Helfer bei Büroarbeiten ist hingegen nichts einzuwenden“. Erst Ende der 60er Jahre durften Frauen in Einsätzen mitwirken, jedoch auch nur auf „typisch frauliche Tätigkeiten beschränkt […] mit leichter körperlicher Beanspruchung.“ Im Laufe der folgenden Jahre änderte sich das schrittweise, Klischees und starre Rollenbilder haben heute im THW längst keinen Platz mehr. Die THW-Leitung in Bonn sieht das genauso so, aber wie ist das hier vor Ort?

Ende der sechziger Jahre war Brigitte Kuhn, geborene Fochler als erste Frau im THW Gronau. Gemäß der THW-Anweisung war sie als Schriftführerin tätig, fuhr aber gelegentlich auch den Jeep des Ortsverbandes. Drei Jahre dauerte diese Episode, dann zog sie mit ihrem Mann, der ebenfalls im THW war, aus beruflichen Gründen um.

Jetzt packen die Frauen mit an

Mitte der Achtziger Jahre trat Sylvia Niehoff in die THW-Jugendgruppe als erstes von zwei Mädchen ein und ist bis heute aktiv. Sie war die Vorreiterin der heute aktiv im Einsatzgeschehen mithelfenden Frauen. Sie ebnete den ihr nachfolgenden Frauen den Weg. Neben ihr gab es in den 90er und 2000er Jahren noch zwei weitere Helferinnen: Maria Kendzierski und Ute Bergmann waren wichtiger Bestandteil des THW-Verpflegungstrupps und kümmerten sich um das leibliche Wohl ihrer Kameraden.

Sylvia Niehoff zog es mehr zur Technik: In der Bergungsgruppe arbeitete sie mit den schweren Geräten genauso, wie die männlichen Kameraden. Später machte sie mit Unterstützung des Ortsverbandes den LKW-Führerschein für die großen Einsatzfahrzeuge. Als Helfersprecherin hatte sie viele Jahre lang ein offenes Ohr für ihre Kameradinnen und Kameraden. Schließlich brachte sie es als erste Frau in Gronau bis zum Amt der stellvertretenden Ortsbeauftragten und führte den Ortsverband kommissarisch durch die ungewisse Anfangszeit der Corona-Pandemie. 

Erst Mitte der Neunziger Jahre kamen weitere Frauen zum Ortsverband hinzu, die sämtliche Arbeiten der Einsatzgruppen ausführten. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Frauenanteil dann spürbar an. Von den 91 Mitgliedern im THW Gronau sind aktuell 18 weiblich. Das bedeutet: Mit knapp 20 Prozent liegen sie deutlich über dem Bundesschnitt. In der Jugendgruppe stellen sechs Mädchen sogar ein Drittel der Truppe.

Wie sieht's denn heute aus?

Und wie ist die Situation heute? Dies als männlicher Autor ganz alleine zu beantworten, verbietet sich natürlich. Also ab zum THW und die Frauen gefragt! Es war ein Samstagnachmittag Ende Februar. Neun der Gronauer THW-Frauen hatten sich versammelt, um in gemütlicher Runde Rede und Antwort zu stehen. Die Laune war entspannt bis lustig. Im Verlauf ergaben sich offene Gespräche, in der auch diskretere Themen angesprochen wurden. Das Alter der aktiven THW-Frauen reicht von 19 bis 51 Jahren, mehrere sind schon seit Jahrzehnten dabei. Die Berufe sind THW-typisch breit gestreut: Industrie- und Bürokauffrauen, eine Tischlerin, eine angehende Pflegefachfrau, eine Elektronikerin und eine Rettungssanitäterin. Zwei der Frauen sind Mütter kleinerer Kinder, auffälliger Weise sind drei der Frauen mit Feuerwehrmännern liiert, zwei weitere mit THW-Helfern verheiratet. Man trifft seine Lebenspartner halt in der Organisation oder bei der Arbeit, das gilt wohl auch im THW.

Warum sie als Frau überhaupt bei der Einsatzorganisation THW ist und welche Gründe es gab, sich für diese zu engagieren, wird als erstes gefragt. Die Antworten ähneln sich verblüffend: „Ich wollte einen abwechslungsreichen Ausgleich zum Beruf haben“, oder „ich wollte Menschen helfen, etwas Sinnvolles tun.“ Zum THW gekommen sind sie meist über Bekannte oder Familienangehörige, die sie zu den ersten Dienstabenden mitgenommen haben. Eine unterhaltsame Ausnahme bildet Meike Kemper. Sie ist über eine verlorene Wette zum THW gekommen, wie sie unter Gelächter erzählt: „Die THW-Kameraden meines Bruders hatten mir erzählt, dass es für die Frauen im THW einen Rock zum Dienstanzug gibt. Das wollte ich nicht glauben und hatte gewettet. Es stimmte aber doch! Und so nahm ich am ersten Dienst beim THW teil.“ Heute ist die Dreißigjährige als Helferin im Zugtrupp in der Einsatzleitung tätig.

Warum Frauen im THW sind

Und warum sind sie geblieben? Jule Böing - mit 19 Jahren die Jüngste in der Runde - bringt es auf den Punkt: „Es ist immer megaspannend und abwechslungsreich. Die Gruppe ist einfach toll, jeder hat einen anderen Charakter, einen anderen Hintergrund, bringt etwas anderes mit. Es gibt alle Altersklassen von zwölf bis über 80 Jahre, alle Geschlechter und Berufe. Wir halten wie eine Familie zusammen und fahren sogar zusammen weg. Da wird es nie langweilig.“ Kemper freut sich einfach jeden Freitag „auf die Bande“ und das Miteinander, spricht vom „THW-Virus“. Die 25-jährige Ortsjugendleiterin Lisa Dierselhuis findet: „Der Haufen ist mir ans Herz gewachsen als zweite Familie, ohne die man nicht mehr kann“.

Vorurteile und Lösungen

Frauen im Katastrophenschutz sind tatsächlich alltäglich geworden. Sie wissen aber auch: Es gibt manchmal noch Vorurteile. Tischlerin Kira Meier (26 Jahre) muss „gefühlt 20 Prozent mehr leisten als die Männer“, um akzeptiert zu werden. „Ich wurde schon von den Kerlen mit den Worten zur Seite geschoben: Lass mich mal machen, ich kann das besser.“ Sie setzte sich dann aber immer durch. Ihre Antwort in solchen Situationen: „Nee, ich krieg das schon hin!“.

Daniela Niehoff (29), die als Gruppenführerin im Einsatz Führungsverantwortung hat, kennt das ebenfalls. Sie war direkt nach der Flutkatastrophe im Ahrtal mit ihrer Gruppe mitten im Geschehen des Einsatzes und packte mit an. Sie möchte als Frau keine Quote erfüllen, sondern den Job als Führungskraft haben - weil sie es kann! „Ich glaube, dass das in Gronau gar kein Problem mehr ist, weil alle an uns Frauen gewöhnt sind und von Anfang an kennen“, berichtet sie und fügt hinzu: „Bei neuen Männern in der Truppe muss man sich aber gelegentlich erst beweisen.“ Danach gebe es aber keine Diskussionen mehr: „Wenn, dann verhalten sich die Männer uns Frauen gegenüber so eher aus Unwissenheit, als aus Absicht.“ 

LKW und Normalität

Auch Sylvia Niehoff kennt diese Probleme aus der Vergangenheit sehr gut, beobachtete auch eine deutliche Verbesserung über die Zeit. „In den 90ern hat mich der Ortsverband Gronau ermuntert, den LKW-Führerschein zu machen. Jahre später fuhr ich einmal einen LKW bei einer THW-Prüfung.“ Ein älterer externer Prüfer war völlig baff und fragte: „Was will die denn im LKW, die gehört doch hinter den Herd!“ Die anderen Männer im OV Gronau standen aber hinter Niehoff und sorgten dafür, dass sie auch wirklich den LKW weiterfuhr. „Die Kameraden haben dem Prüfer den Zahn ganz schnell gezogen“, schmunzelt sie.

Je mehr Frauen zum Gronauer THW kamen, desto positiver änderte sich für sie ihre Position, desto normaler wurde es. Gruppenführerin Daniela Niehoff stellt fest: „Heute werden wir wirklich gefördert und gefordert. Die Ausbildung zur Atemschutzgeräteträgerin mit Pressluftflasche auf dem Rücken ist inzwischen für uns Frauen völlig normal. Wir haben Führungsverantwortung und gehen auf sämtliche Lehrgänge.“ Die gesamte Frauenrunde betont mehrfach, dass die Situation hier in Gronau wirklich außergewöhnlich gut und gleichberechtigt für die Frauen ist. Dass etliche der Frauen bereits über zehn bis gut dreißig Jahre dabei sind, scheint das zu bestätigen.

Kleine Unterschiede

Wie ist denn der wirkliche Unterschied zwischen Frauen und Männern, speziell im THW? Die meist geringere Körpergröße ist nach Daniela Niehoffs Worten ein Vorteil der Frauen: „Wir haben eine Menge Jungs, die mit ihrer Kraft zwar gut anpacken können, die passen aber nicht durch einen kleinen Mauerdurchbruch. Da sind Jule oder Kira mit ihren nicht mal 1,70 Meter Körpergröße viel besser geeignet.“

Die Frage nach der Toilette ist für die Frauen ein etwas größeres Problem als für die Männer. Meike Kemper kann davon berichten: „Das hatten wir Montag noch beim Einsatz im Wald. Ich kann mich nicht einfach mal schnell an einen Baum stellen wie die Männer. Wir müssen immer daran denken, dass man bereits im Vorfeld zur Toilette geht.“ Ihre Kameradinnen stimmen zu: „Die Frauen müssen viel mehr mitplanen und Gelegenheiten nutzen, wo die Herren vielleicht viel unbedarfter losrennen.“

Auch die klobige Einsatzkleidung ist noch nicht perfekt. Sie ist doch eher auf männliche Proportionen zugeschnitten. Da hilft auch der erwähnte Rock des formellen Dienstanzuges nicht weiter. Der wird im Einsatz natürlich nicht getragen. Inzwischen geht auch in diesem Fall das THW mit der Zeit. Noch in diesem Jahr soll eine neue Einsatzkleidung ausgeliefert werden, bei der auch die Frauen hinsichtlich Design und Körperstatur berücksichtigt sind.

Die Freundinnen von der Feuerwehr

Nicht nur im THW gibt es die beschriebenen Veränderungen. Auch die Feuerwehr hat einen ähnlichen Wandel mitgemacht. Feuerwehrfrauen sind alles andere als eine Seltenheit, auch nicht in Gronau. So verwundert es nicht, dass die Frauen beider Organisationen engen Kontakt halten. Im vergangenen Jahr nahm in Gronau zum sechsten Mal ein gemischtes Team aus THW und Feuerwehr am Feuerwehrleistungsnachweis teil – eine deutschlandweite Einmaligkeit. Und zum ersten Mal gab es sogar ein Feuerwehr-THW-Frauenteam bei der kreisweiten Veranstaltung in Heek. Die Frauen hatten den Humor auf ihrer Seite und waren augenzwinkernd in T-Shirts mit pinker Aufschrift „Eigentlich ist das gar nicht so schwer“ gestartet. So mancher Mann staunte nicht schlecht. Von den allermeisten Zuschauern wurden die Teilnehmerinnen frenetisch bejubelt, als sie den Herren der Schöpfung zeigten, was sie können. Eine gute Platzierung im Mittelfeld konnte sich sehen lassen, zumal den THW-Damen die Feuerwehrarbeiten großteils neu waren.

Die Zukunft

Lisa Dierselhuis erläutert die Motivation zu dieser Aktion: „Wir wollten vor den hunderten Zuschauern ein Zeichen setzen und zum Mitmachen in Feuerwehr oder THW ermutigen: Frauen, das könnt Ihr auch! Versteckt Euch nicht!“ Mit dieser Einstellung scheinen die Frauen vom Zivil- und Katastrophenschutz eine etwas emanzipiertere Zukunft zu schaffen. Den Mädchen der Jugendgruppe haben sie den Weg weiter geebnet: Sie können nun ihre eigenen Spuren hinterlassen. 

Weitere Infos über die Frauen im THW bei der THW Leitung:

Frauen im THW: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft