Ein Erfahrungsbericht von Ralf Kosse
Seit fast 30 Jahren bin ich im Technische Hilfswerk (THW) Gronau ehrenamtlich tätig, seit über 20 Jahren sieht mein Freitagabend eigentlich immer gleich aus: um 19 Uhr mit dem Fahrrad zur THW-Unterkunft an der Vereinsstraße, Dienstabend mit Übungen und Fortbildungen. Es wird das Retten von Menschen geübt, der Umgang mit schweren Werkzeugen. Einsätze kommen hinzu, rund um die Uhr sind wir bereit, Menschen in Notlagen zu helfen. Nach dem Dienst um 22:30 Uhr gibt es frisch gekochtes Essen von unserem Verpflegungstrupp und kann man mit den Kameradinnen und Kameraden noch klönen, eine Cola oder ein Bier trinken, über das THW, die Arbeit, Privates diskutieren. Eine Mischung aus Ehrenamt, Ausbildung, Teamwork und Vereinsleben.
Doch nun haben wir die Corona-Pandemie und alles ist anders. Ganz Deutschland, die ganze Welt ist davon betroffen. Seit dem 14. März ruht der reguläre Ausbildungsbetrieb im THW Gronau, es werden nur noch notwendige Instandhaltungsarbeiten durchgeführt. Einsatzbereit sind wir natürlich trotzdem, erst Anfang letzter Woche haben zwei unserer Helfer einen ersten Transport mit medizinischer Schutzausrüstung durchgeführt. Unsere spezialisierten Einsatzkräfte können dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht werden: in logistischer Unterstützung, zur Beratung in Krisenstäben, zum Einrichten von Notunterkünften, zum Stellen und Betreiben von notwendiger Infrastruktur (Strom, Wasser). Wir vom THW Gronau haben die "Fachgruppe Elektroversorgung" und könnten bei Bedarf z.B. größere Mengen Notstrom erzeugen.
Wie hält man aber in Zeiten von Corona und Kontaktverbot, von Abschottung und Quarantäne eine Organisation zusammen, die vom Miteinander und vom Teamgeist lebt? Angelehnt an die Arbeit im Home-Office fand deshalb am vergangenen Freitag der erste Online-Dienstabend unseres Ortsverbandes statt. Auf die Idee brachten uns die Kameraden der Feuerwehr Epe, die genau das am Abend zuvor bereits erprobt hatten. Bei uns im THW organisierte dies unser Gruppenführer Michael Dierselhuis, der als Elektro-Ingenieur bereits zwölf Jahre Erfahrung im Home-Office hat.
Nun ist es 19:30 Uhr, meine Frau sitzt mit unseren kleinen Kindern im Wohnzimmer. "Ich fahre jetzt zum THW", sage ich und gehe zum PC im Nebenraum. Die Kinder staunen. Per Browser nehme ich an der Konferenz teil, meine alte Webcam überträgt Bild und Ton an die Anderen. Erste Gesichter sind zu sehen, Stimmen schwirren durcheinander. Aber Michael hat mit seiner Erfahrung aus unzähligen Videokonferenzen die Gruppe schnell unter Kontrolle: "Jeder schaltet bitte erstmal sein Mikro stumm und gibt seinen Namen ein!". Schnell ist Ruhe. Immer mehr Teilnehmer kommen in die Runde, manche per Handy, andere per Laptop oder Tablet. Man sieht die unterschiedlichsten Einblicke in die Privathaushalte: Sofas, Büros, Jogginghosen, Kinder im Hintergrund. Unser Schirrmeister Patrick Niehoff sitzt als Einziger in der THW-Unterkunft. Er hat bereits einige Stunden lang Geräte und Einsatzfahrzeuge gepflegt. Es tut wirklich gut, die vertrauten Gesichter wiederzusehen! Michael moderiert und gibt Anweisungen für den Ablauf.
Und schon geht es los: Truppführer Timo Sonntag hat eine Präsentation vorbereitet, die er am Bildschirm teilt. Alle können zusehen, wie er einen Überblick über die Corona-Lage gibt. Was macht das THW gerade? Welche Einsätze finden in anderen Ortsverbänden statt, was kann auf uns zukommen? Aktuell sind deutschlandweit knapp 1000 der 80.000 Helferinnen und Helfer vom THW im Einsatz. Dabei werden Kontrollstellen für die Polizei errichtet und Zelte vor Krankenhäusern aufgebaut, Material transportiert oder mobile Corona-Teststellen technisch und logistisch unterstützt. Wer in der Konferenz Fragen hat, kann per Mausklick eine virtuelle Hand heben und wird von Michael aufgerufen. Es entwickeln sich erste Unterhaltungen. Online werden THW-Videos geteilt, wir sind wir nun auf dem Laufenden.
Mich interessieren unsere Helferinnen und Helfer persönlich, wir reden reihum über unsere letzten Tage. Alle Corona-Facetten sind dabei: Arthur ist freiberuflich als Ausbilder für Brandschutz und Erste Hilfe unterwegs. Damit fallen seine Aufträge nun komplett aus, allerdings hat er jetzt viel Zeit für seine Familie. Sylvias Arbeitgeber stellt Verpackungen für Nahrungsmittel her, das ist momentan systemrelevant und Sylvia damit stark beschäftigt. Manche arbeiten wie ich im Home-Office, andere haben Kurzarbeit. Alles, was man seit Tagen aus den Medien hört, betrifft die THW-Freunde genauso. Wir sind alle Teil der Corona-Pandemie.
Gegen 22 Uhr ist alles Wichtige gesagt und es wird herum gescherzt. Die ersten verlassen die Konferenz. Eigentlich wie nach den normalen Dienstabenden, bloß auf Distanz. Die Videoübertragung hat sich bewährt, wir wollen nun wöchentlich so weitermachen. Themen für die Ausbildung gibt es genug, das THW hat seit Jahren viele Lerninhalte als Powerpoint-Präsentationen aufbereitet. Die können wir direkt in den Videokonferenzen nutzen und somit weiter Ausbildung betreiben. Also treffen wir uns am nächsten Freitag wieder - falls nicht eher ein Einsatz dazwischen kommt.