Die 2000er Jahre
Das Jahr 2000 fing für das THW Gronau einsatzreich an: Silvester hatten die Helferinnen und Helfer samt Familien noch in der Unterkunft gefeiert – der erwartete „Jahr 2000-Bug“ und mögliche Stromausfälle blieben jedoch aus. Direkt während der Feierlichkeiten kam die Meldung, dass Hilfskräfte für einen Einsatz in Frankreich gesucht werden könnten. Zu Weihnachten 1999 hatte Sturm „Lothar“ den Westen und Süden von Frankreich, die Schweiz und Südwestdeutschland verwüstet.
Am nächsten Abend ging dann die Meldung zum Einsatz an die Gronauer, früh am 2. Januar ging es über Aachen ins Nachbarland. Am Morgen des 3. Januar traf das „Modul 4“ des THW aus NRW mit etwa 25 ehrenamtlichen Hilfskräften erschöpft in Limoges in Südwestfrankreich ein, darunter sechs Gronauer Helfer und mehrere aus den Nachbar-Ortsverbänden Ahaus und Bocholt. Zudem waren 10 weitere dieser „Modul“ genannten 25-Mann-Gruppen parallel unterwegs.
Die Helfer kamen dort zunächst in einem Mädchen-Internat unter, die Schülerinnen waren gerade in den Ferien Zuhause. Geschlafen wurde in den Zimmern für jeweils drei Personen, an den rosa Wänden hingen Poster von Johnny Depp und Brad Pitt, selbst das Klopapier war rosa eingefärbt…
Jens Jansen, heute niedergelassener Arzt in Gronau, war aufgrund seiner Sprachkenntnisse vor allem als Dolmetscher eingesetzt, später auch als Zugführer im Modul 4. Er erinnert sich: „Ich war Ansprechpartner für jeden und alles. Mein privates Handy, damals noch etwas Besonderes, stand kaum still. Nach dem Einsatz hatte ich eine Handyrechnung von über 1.000 DM. Die hat das THW zum Glück übernommen, weil der Funk in den Bergen nicht funktionierte. Meinen Klingelton habe ich sofort bei der Rückfahrt endgültig geändert – ich konnte ihn echt nicht mehr hören!“
Tagsüber wurden Bäume gesägt und Strommasten instandgesetzt, die Notstromaggregate liefen Tag und Nacht. Dankbare Anwohner liefen den Helfern hinterher und verschenkten Weinflaschen oder brachten warmes Essen. Parallel reparierten die französischen Energieversorger die Leitungen, sodass die THWler nach zwei Wochen die Heimreise antreten konnten. Der gesamte Einsatz hat auch Einzug in das Kinderbuch „Tom der THW-Helfer“ gehalten, welches sich auch in der Gronauer Bücherei finden lässt.
Im folgenden Jahr wurde Ludger „Lutz“ Schabbing der neue Ortsbeauftragte des THW in Gronau, er löste Heinz Hecker ab und blieb bis 2020 im Amt. Schabbing blickte auf jahrzehntelange THW-Erfahrung als Helfer, Taucher und Zugführer zurück und schob viele wichtige und erfolgreiche Projekte im Ortsverband an. Die bisherige Fachgruppe „Infrastruktur“, mit dem THW-Neukonzept in den 90ern eingeführt, wurde abgegeben, dafür kam die „Elektroversorgung“ nach Gronau und ist dort noch heute. Die Aufgaben der „Fachgruppe E“ sind vor allem die Erzeugung von Notstrom und die Wiederherstellung von Versorgungsleitungen, die Mitglieder haben Berufsausbildungen im Elektrobereich.
André Ewering und Jochen Hofste, damals Führungskräfte dieser Gruppe, waren im Rahmen dieser Aufgaben im afrikanischen Sierra Leone im Auslandseinsatz. Von Dezember 2005 bis zum folgenden Januar waren sie vier Wochen lang in dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Land, um dort Notstromversorgung für Blauhelmsoldaten sicherzustellen. Weihnachten feierten die beiden fern ihrer Familien zusammen mit ukrainischen Friedenssoldaten bei 38° C. In der sonstigen Zeit wurden mit THW-Kräften aus ganz Deutschland Stromleitungen verlegt, Aggregate aufgebaut und gewartet.
Am ersten Adventswochenende 2005 fiel im Westmünsterland ungewöhnlich viel nasser Schnee bis zu 50 Zentimeter Höhe. Zahllose Strommasten knickten um, es folgte die größte Energiekrise in der Geschichte der Bundesrepublik. Auch das THW Gronau war damals etliche Tage im Einsatz. Während Ochtrup von THW-Einheiten aus ganz Deutschland mit Strom und sonstiger Hilfe versorgt wurde, waren die Gronauer in der eigenen Stadt und vor allem Stadtlohn und Vreden im Einsatz. Rund um die Uhr wurden vor allem Landwirte mit Strom für Melkmaschinen und Stallheizungen versorgt. Aber auch die Bergung von LKW und das Sägen von umgeknickten Bäumen war an der Tagesordnung.
2009 stand die ehemalige Textilfabrik „Germania“ in Epe in Vollbrand. Der historische Schornstein aus rotem Klinker war mittendrin – und stand plötzlich schief. Aus Sicherheitsgründen wurde eine Sprengung des 35 Meter hohen Turms angeordnet. Sondierungsbohrungen zur Ermittlung der Wandstärke wurden vom THW Gronau erstellt, all das neben brennenden Hallen und im Qualm. Der Sprengmeister des THW Oberhausen ließ 5 Kilogramm Sprengstoff vorbereiten und in die Bohrlöcher verteilen. Dann ein großer Knall – und nichts! Wegen eines Materialfehlers war die Masse nur teilweise explodiert.
Erneute Bohrungen waren viel zu gefährlich, die Sprengstoffexperten packten die Ladung einfach neben die erste Sprengstelle. Da keine Bohrlöcher genutzt werden konnten, war nun viel mehr Sprengstoff im Einsatz als zuvor. Ein neuer Knall und der 112 Jahre alte letzte Industrieschornstein Epes war leider Geschichte.
Explosion in Enschede
Samstagnachmittag, der 13. Mai 2000: Heiß, strahlender Himmel und plötzlich ein lautes Donnern – bei blaustem Himmel! Die Wolken folgten dann – grau, groß und westlich von Gronau. Kurz darauf ging es durch alle Medien: in Enschede war ein ganzer Stadtteil fast dem Erdboden gleich gemacht worden. Eine Feuerwerksfabrik inmitten der Großstadt war explodiert, auf Satellitenbildern konnte man den Qualm bis an die Küste Englands erkennen.
Das THW Gronau wurde von der Gronauer Feuerwehr alarmiert, um den niederländischen Nachbarn zu helfen. Der erste Sammelpunkt nach rasanter Fahrt war am alten Grolsch-Werk. Plötzlich die Nachricht: „Sofortiger Abzug, Explosionsgefahr!“. Die Ammoniaktanks für die Bierkühlung brannten, es war auch an der Straße daneben zu gefährlich.
Mit der unbekannten deutschen Truppe in Blau konnten die Niederländer in den ersten Minuten noch wenig anfangen, das änderte sich jedoch zügig. Das THW versorgte Feuerwehrleute aus den ganzen Niederlanden und auch die deutschen Kameraden mit Notstrom, später kam Beleuchtung hinzu.
Auch der Verpflegungstrupp des Gronauer THW wurde tätig: Die Firma K+K schloss in der Nacht den THW-Köchen ihre Lager auf, „nehmt was Ihr braucht“ war die Devise. Mit frischen Lebensmitteln wurde Suppe für hunderte Brandschützer gekocht und in Enschede ausgegeben.
21 Menschen ließen bei den Explosionen ihr Leben. Angesichts der verheerenden Verwüstung mochte man kaum glauben, dass es nicht noch mehr waren. Das gute Wetter hatte viele Leute in die Natur gelockt, was im Nachhinein ein echter Glücksfall war. Das Unglück ging in die Geschichte der Niederlande ein, eine politische Aufarbeitung ist nie vollständig erfolgt.
Für den Katastrophenschutz brachte es jedoch Gutes: Die Feuerwehren Enschede und Losser arbeiten seitdem eng und freundschaftlich mit Feuerwehr und THW aus Gronau zusammen. Es gibt gemeinsame Übungen, Aktionen und Treffen.
Elbe-Einsätze
Nach dem Jahrhunderthochwasser 1997 war das THW auch 2002 wieder groß im Einsatz: durch heftigen Regen im Sommer schwollen insbesondere Donau und Elbe stark an, Deutschland beklagte 21 Todesopfer. Die Schäden beliefen sich auf gut elf Milliarden Euro. Laut einhelliger Meinung war es dieses Hochwasser, das Gerhard Schröder in Gummistiefeln den entscheidenden Sieg gegen Edmund Stoiber zur Wiederwahl als Bundeskanzler brachte.
Der Ortsverband Gronau schickte 16 Helfer an die Elbe. Zusammen mit weiteren 16 aus Bocholt kamen sie im Örtchen Barby in der Nähe von Magdeburg unter und hatten eine Woche lang täglich am Deich zu tun. Die Aufgaben waren vielfältig: Keller auspumpen, Stromversorgung wiederherstellen. Von Booten aus Treibgut sichern, Pumpen betreiben und natürlich Sandsäcke verlegen. Untergebracht waren die Katastrophenschützer diesmal ungewohnt komfortabel: Die Kurklinik Barby war wegen der steigenden Fluten evakuiert, die Angestellten alle noch vor Ort. Die THWler bezogen also das Gebäude, je zwei Personen pro Kurzimmer. Die Mitarbeiterinnen der Klinik kümmerten sich um Verpflegung und Wäsche, das hatten die Helfer noch nie erlebt. Bloß das hauseigene Schwimmbad sollte tabu bleiben, was ein paar vom Sandsackschleppen Erschöpfte vielleicht dann doch einmal vergaßen…
Ein halbes Jahr später, der Sommereinsatz war längst erfolgreich abgeschlossen, gab es erneut ein Hochwasser. Die Gronauer fuhren wieder los, zwei Teams für je eine Woche. Wieder drohten in Barby und Umgebung Überschwemmungen, wieder wurde gepumpt und Notstrom erzeugt. Der Unterschied zum Sommer: Keine Kurklinik, sondern eine Dorfhalle, in der alle auf Feldbetten schliefen. Und vor allem eine Temperaturdifferenz von über 50 Grad Celsius!
Florian Ewering, heute Ortsbeauftragter des Gronauer THW, blickt zurück: „Mit minus 20 Grad war es so enorm kalt, dass wir unsere Einsatzfahrzeuge nachts laufen lassen mussten. Sie wären sonst dauerhaft eingefroren. Nach dem Zwiebelprinzip hatten wir drei Hosen übereinander und vier Schichten unter den THW-Jacken an. Trotzdem waren wir nach zwanzig Minuten im Freien völlig durchgefroren. Wir beförderten mit riesigen THW-Pumpen Wasser aus dem Hinterland über den Deich zurück. Wenn dabei mal unser Notstrom ausfiel, hatten wir nur 15 Minuten, um den Fehler zu finden. Danach waren die vollen Schläuche zu brettharten Schlangen gefroren und wir mussten neue Leitungen ausrollen.“ Nach den zwei Wochen sank das Wasser jedoch, auch die Kälte ließ langsam nach und der Einsatz konnte beendet werden.
14 Gronauer Helfer waren im Winter eingesetzt, zudem weitere THWler aus Ahaus, Dinslaken und Kleve. Einige Monate später wurden alle mit Auszeichnungen für ihren Einsatz geehrt – von einem damals kaum bekannten und blutjungen Bundestagsabgeordneten. Dass Jens Spahn später bundesweite Berühmtheit erlangen sollte, ahnte damals noch niemand etwas.