1950er und 60er Jahre
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die bereits seit 1919 in Deutschland existierende und von Otto Lummitzsch gegründete „Technische Nothilfe“ von den Besatzungsmächten 1945 aufgelöst. Auch in Gronau gab es eine Ortsgruppe dieser Freiwilligenorganisation, die zunächst zum Streikbrechen und später für den Katastrophenschutz, Luftschutz und Arbeitsdienste eingesetzt wurde. Am 22.08.1950 wurde Otto Lummitzsch von Bundesinnenminister Gustav Heinemann beauftragt, einen „Zivilen Ordnungsdienst“ zu gründen. Ab Oktober 1951 hieß die Organisation dann offiziell „Technisches Hilfswerk“ (THW) - ein Name, der bereits zu Zeiten der technischen Nothilfe kursierte.
Am 7. April 1954 gründete sich der Ortsverband (OV) Gronau als nicht selbstständiger Stützpunkt des bereits existierenden THW-Ortsverbandes Münster als 174. OV in Deutschland. Ein Schreiben vom 27. Februar 1954 an den damaligen Gronauer Stadtdirektor Dr. Groll weist auf den Aufbau des Gronauer Ablegers hin. Zum ersten Ortsbeauftragten wurde damals Herr Stadtbaurat Theodor Heimann bestellt. Bis Anfang der 1960er Jahre stieg die Zahl der Helfer von elf auf 46 an, erst 1961 wurde der Ortsverband Gronau vollkommen eigenständig von Münster.
Was mag es an spezieller Rettungstechnik und Großfahrzeugen in den 50ern beim THW alles gegeben haben? LKW mit Rekord-PS? Anhänger, Notstromerzeuger, Sauerstofflanzen und Großpumpen? Fehlanzeige! Die erste vom Bund zugewiesene Geräteausstattung bestand lediglich aus ein paar Schaufeln, Spitzhacken, Seilen und einer Handkarre. Auch Fahrzeuge standen noch nicht zur Verfügung. Der erhoffte Aufschwung blieb vorläufig aus. Von der Gründung bis in das Jahr 1964 waren Helfer und das bescheidene Gerät notdürftig in den Räumen der Firma Stenvers an der Steinstraße untergebracht. Dabei handelte es sich wohl eher um ein Lager, als um eine echte „Unterkunft“. Im Jahre 1964 besserte sich das, als der Ortsverband in das ehemalige Monteurheim der Firma M. van Delden an der Hörster Straße zog (siehe Nebenartikel).
In diesem Jahr wurde auch der Luftschutzhilfsdienst (LSHD) „63. Luftschutzbergungsbereitschaft RWL“ im Altkreis Ahaus aufgebaut, in dem auch die THW-Helfer verpflichtet wurden. Der LSHD war eine Institution, die wie das THW dem Innenministerium unterstand, aber rein für den Verteidigungsfall nach Luftangriffen vorgesehen war. Nach den Erfahrungen des 2. Weltkriegs sollte der Schutz der Zivilbevölkerung im etwaigen Kriegen durch eine eigene Organisation sichergestellt werden. Die LSHD-Einheiten wurden der Feuerwehr, dem THW und anderen Hilfsorganisationen zugeordnet, wenngleich der LSHD eigenständig war.
Drei LSHD-Züge gab es in Gronau, einer wurde 1969 abgegeben und war der Grundstock für die Gründung des THW-Ortsverbandes Ahaus. Etwa 20 deren späterer Helfer waren bis dato in Gronau tätig und wurden für jeden Dienstabend (immer dienstags) aus Ahaus mit Gronauer THW-Fahrzeugen abgeholt, da private PKW damals noch eine Seltenheit waren. THW-Urgestein Reinhard Siedler, seit 60 Jahren im Ortsverband Gronau, erinnert sich: „Ich bin jeden Dienstag direkt nach der Arbeit nach Ahaus gefahren, meist mit unserem Gronauer Hanomag. Bis 19.30 Uhr waren wir in Gronau zum Dienst, danach habe ich alle wieder nach Ahaus gebracht. Bis ich wieder Zuhause war, war es oft weit nach ein Uhr nachts!“.
Bis 1971 war der LSHD aber wieder Geschichte und das THW war fortan sowohl für Katastrophenschutz als auch für den Schutz der Bevölkerung im Krisenfall (Zivilschutz) zuständig.
In den 60er Jahren verfügte das THW Gronau über sechs Mannschaftswagen vom Typ Hanomag AL 28, zwei Gerätekraftwagen (Magirus und Borgward), einen Funkkommandowagen (DKW Munga), sowie einen Feldkochherdanhänger, auch Gulaschkanone genannt. Diese ersten KFZ waren ausschließlich vom LSHD, also allesamt khakifarben mit einer Ausnahme: ein Melde-Motorrad in THW-blau. Lastwagen und PKW in THW-blau kamen erst Ende der 60er Jahre hinzu.
Ab 1964 fanden auch regelmäßige Dienst- und Ausbildungsabende in der Unterkunft an der Hörster Straße statt. Die Helferlisten des Ortsverbandes weisen zu dieser Zeit einen Bestand von 84 Helfern aus. Großen Anteil am Helferzuwachs hatte Heinz Röver, der von 1961 bis 1969 der zweite Ortsbeauftragte des THW Gronau war. Er arbeitete als Architekt bei M. van Delden und holte dadurch viele van Delden-Angestellte zum THW.
Im THW mitwirken konnten Männer damals ab 16 Jahren, Frauen war der Dienst anfangs noch verweigert. THW-Direktor Lummitzsch hatte bereits 1955 den Frauen explizit untersagt, sich im THW zu engagieren: „Die Verwendung von Frauen und Mädchen als Helferinnen im Einsatz ist grundsätzlich nicht vorgesehen“. Ein klein wenig Weiblichkeit wurde dann doch gestattet: „Gegen die ehrenamtliche Mitarbeit von weiblichen Angehörigen der Helfer bei Büroarbeiten ist hingegen nichts einzuwenden“. Erst Ende der 60er Jahre durften Frauen in Einsätzen mitwirken, jedoch auch nur auf „typisch frauliche Tätigkeiten beschränkt […] mit leichter körperlicher Beanspruchung.“ Ende der sechziger Jahre war Brigitte Kuhn, geborene Fochler, als erste Frau im Gronauer THW. Gemäß der THW-Anweisung war sie als Schriftführerin tätig, fuhr aber gelegentlich auch den Jeep des Ortsverbandes.
Was Einsätze angeht, waren die Anfangsjahre des jungen Ortsverbandes zunächst sehr ruhig. Einerseits musste sich die neue Organisation erst beweisen und herumsprechen, andererseits war die Idee hinter der Gründung ganz klar im kalten Krieg zu sehen – Hauptaufgabe war die zivile Hilfe bei einem erneuten Weltkrieg oder nach nuklearen Angriffen. Ein Schicksal, das Deutschland und Europa zum Glück erspart blieb. Wenn es Einsätze gab, handelte es sich meist um Unterstützung der Feuerwehr bei Bränden oder nach Stürmen, z.B. zum Baumfällen. Alarmiert wurde damals nicht per Funk, sondern via „Schneeballsystem“: Die Helfer liefen oder fuhren zum jeweils nächstgelegenen nach Hause und sagten Bescheid, dann ging es zur THW-Unterkunft.
Die meiste Zeit wurde sicherlich mit Üben verbracht, oft im Steinbruch in Bentheim, wo Bergungen von Verletzten und der Transport per Seilbahn trainiert werden konnte – so wie es auch heute noch stattfindet. Die bemerkenswerteste Aktion der Anfangsjahre war wohl die Sprengung des Gronauer Schlosses 1964, welche unzählige Abende zum Bohren und Einsetzen der Sprengladungen benötigte (siehe Nebenartikel).
Wie es mit dem THW in den 70er und 80er Jahren weiterging, erfahren Sie im nächsten Teil der Serie. Dann wird geklärt, wie sich die Unterkunft bei M. van Delden entwickelte und welches spektakuläre Ende sie nahm, wie plötzlich Kinder beim THW mitmachten und wie nach nur einem Tag eine Macke in den nagelneuen Einsatz-LKW kam.
Unterkuft Hörster Straße
Die erste THW-Unterkunft an der Hörster Straße war vor dem Bezug durch die Gronauer Katastrophenschützer ein Monteurheim der Firma M. van Delden. Sie wurde ab dem 1. April 1964 vom THW gemietet und befand sich etwa zwischen dem heutigen Ärztehaus an der Hörster Straße und der LAGA-Pyramide. Die Westfälischen Nachrichten beschrieben den Standort im August 1969 als „Auf einer kleinen Anhöhe, etwas hinter Bäumen versteckt“. Auch einen selbstgebauten Kletter- und Abseilturm gab es, wie der Bericht weiter erläutert. Da in den ersten Jahren dort noch keine Garagen vorhanden waren, wurden die Fahrzeuge bei der Firma Hülshoff an der Königstraße untergestellt.
Der Schlüssel zur Unterkunft war beim Portier des van Delden-Geländes deponiert und dort Tag und Nacht zu bekommen. Auch ein Telefon gab es bereits: gestellt von der Textilfirma gab es eine eigene Durchwahl für das THW. Ausgehende Gespräche mussten jeweils vom Pförtner vermittelt werden. Somit war Gronau einer der allerersten THW-Ortsverbände mit eigenem Telefon, in der Zeit hatten die meisten Haushalte nämlich noch keines.
Geheizt wurde die ersten Jahre mit einer Kohleheizung. THW-Schirrmeister Paul Walker, der selbst auch bei van Delden arbeitete, heizte dienstags morgens mit Koks vor, damit am Dienstagabend zum Übungsdienst alles schön warm war. Nach einer umfassenden Renovierung der Unterkunft in den 70ern, alles in Eigenleistung versteht sich, wurde dann auf Ölheizung umgerüstet. Bis dato waren die Räumlichkeiten eher rudimentär und einfach. Danach wurde es wohnlicher, mit Büros, Aufenthaltsraum und gescheiten Sanitäranlagen. Auch die Garagen wurden gebaut, sie befanden sich in Bundesbesitz und standen exakt dort, wo sich heute das Ärztehaus Hörster Straße befindet. Mächtig Ärger gab es bei der Renovierung, weil die eifrigen THWler einige Wände herausrissen – ohne dies mit dem Vermieter angesprochen zu haben…
Um das jähe Ende der THW-Unterkunft an der Hörster Straße Anfang der 80er Jahre dreht es sich im nächsten Teil dieser Serie…



Schlosssprengung
Im Rahmen der Planungen für die Sanierung der Gronauer Altstadt fiel 1964 der Entschluss, das Gronauer Schloss abzureißen. Der Begriff „Schloss“ suggeriert ein wehrhaftes Gebäude mit Zinnen und Türmen, dabei war es optisch jedoch eher eine Art Herrenhaus. Genutzt wurde es ursprünglich jedoch genau für das Gegenteil, nämlich als Witwensitz der Häuser Steinfurt und Bentheim-Steinfurt.
Der Zustand war seinerzeit wohl eher jämmerlich, entgegen heutiger Auffassung waren die Gronauer damals wohl eher froh, den „Kasten“ loszuwerden. Aus Zeitgründen wurde eine Sprengung beschlossen, das THW Gronau übernahm die Arbeiten als willkommene Übung der eigenen Fähigkeiten und ersparten damit der Stadt Kosten von etwa 60.000 Mark.
Zwei Wochen lang, immer nach Feierabend, bohrten die ehrenamtlichen Hilfskräfte in das 1,80 Meter dicke Mauerwerk. THWler Reinhard Siedler, seit über 60 Jahre heute noch in Gronau aktiv, erinnert sich: „Die Mauern waren dauerhaft nass, das Bohren war uns anfänglich mit dem THW-Gerät fast unmöglich und eine echte Qual. Erst nachdem uns die Firma Plassmann einen Kompressor-Anhänger lieh und wir Pressluftbohrer nutzen konnten, kamen wir gut vorwärts.“
Auf alten Fotos sieht man den Arbeitsschutz anno 1964: Mal Helm, mal Mütze, mal barhäuptig. Zigarette im Mund beim Bohren – Schutzbrillen nur gelegentlich. Kein Vergleich mit heutiger Sicherheit. Mückenschwärme und Ratten in den massiven Kellergewölben erschwerten die Arbeiten zusätzlich. Insgesamt 80 Männer waren mit den Bohrungen und Vorbereitungen beschäftigt, pro Schicht 20. Die Nacht vor der Sprengung wurde sogar durchgearbeitet, damit alles klappte.
120 Bohrlöcher waren vonnöten, die dann mit Sprengstoff gefüllt wurden. Sprengmeister Josef-Ferdinand Stade vom THW Münster hatte am „großen Tag“ eine etwas sonderliche Idee im Gepäck: statt wie geplant um 16.00 Uhr löste er am 17. Oktober 1964 bereits um 14.45 Uhr die Detonation aus – damit es weniger Schaulustige gäbe. Als diese um 16 Uhr dann anrückten, gab es aber lange Gesichter: alles schon vorbei. Selbst die Polizei war in die Eigenmächtigkeit nicht eingeweiht.
Bei der Sprengung selbst gab es einen mächtigen Knall, viel Staub –doch das Schloss stand noch. Die Sprengstoffmenge war zu gering, aus Sicherheitsgründen wurde nämlich äußerst vorsichtig dosiert. Die nächsten Wohn- und Geschäftsgebäude standen nur 50 Meter entfernt und trotz schützender Strohballen wollte man nichts riskieren. Auch eine spätere zweite Sprengung konnten das nicht ändern. Jedoch war der Effekt gar nicht so schlecht, wie Reinhard Siedler erläutert: „Das Mauerwerk hatte sich durch die Detonation so weit gelockert, dass wir in den nächsten Tagen alles relativ leicht niederreißen konnten“. Mit Seilwinden und THW-Gerätewagen wurde dann dem Gemäuer kurzer Prozess gemacht. Nach einigen Tagen war Gronau endgültig eine Stadt ohne historisches Schloss.